In der ersten Phase der Corona-Pandemie wurde das Virus vorerst als reine Lungenerkrankung betrachtet. Inzwischen gibt es Hinweise, dass auch das Nervensystem betroffen ist. Als Mitinitiator der COVID-19 Taskforce der europäischen Akademie für Neurologie hat Prim. Priv.-Doz. Tim J. von Oertzen, Leiter der Klinik für Neurologie 1 am Neuromed Campus, bereits Ende März begonnen ein Ressourcenzentrum aufzubauen, das über die neurologische Beteiligung bei COVID-19 informiert und den Erfahrungsaustausch fördert.
"Nachdem COVID-19 zunächst als Lungenerkrankung betrachtet wurde, zeigen sich nun Hinweise, dass auch andere Organsysteme beteiligt sind. Inzwischen wissen wir, dass diese auch das Nervensystem betreffen. Früheste Zeichen sind Riech- und Schmeckstörungen. Diese Symptome werden im Krankheitsscreening, z.B. an den Schleusen beim Eintritt in Krankenhäuser und in Arztordinationen abgefragt“, schildert Prim. Priv.-Doz. Tim J. von Oertzen, Leiter der Klinik für Neurologie 1 am Neuromed Campus die ersten offensichtlichen neurologischen Auswirkungen von Corona.
„Während diese Symptome meist mit einer milden Verlaufsform der Erkrankung verbunden sind, gibt es durchaus auch schwere Erkrankungen wie Schlaganfälle, Hirn- und Hirnstamm-entzündungen sowie entzündliche Erkrankungen im peripheren Nervensystem – insbesondere das Guillain-Barré-Syndrom (eine entzündliche Erkrankung der Nerven, die mit Muskelschwäche und Lähmungen einhergeht). All diese Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems entstehen durch verschiedenste Mechanismen und auch in unterschiedlichsten Phasen der COVID-19 Erkrankung“, erklärt Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, Vorstand der Klinik für Neurologie 2 am Med Campus III.
Während bei schweren Schlaganfällen vorrangig die Störung der Blutgerinnung und eine vermehrte Neigung zu Blutgerinnseln gegeben ist, sind die Entzündungen im Hirnstamm eher auf Veränderungen im Immunsystem der Patientinnen und Patienten zurückzuführen.
„Es wurden Patientinnen und Patienten beobachtet, die an einer schweren, aber stabilen Lungenentzündung erkrankt waren, deren Gesundheitszustand sich trotzdem rasch verschlechterte und die verstarben. Das könnte auf ein Versagen des im Gehirn gesteuerten Atemantriebs zurückzuführen sein“, sagt Prim. Priv.-Doz. Tim J. von Oertzen.
Die Erfassung neurologischer Symptome bei COVID-19 Erkrankungen, die damit verbundene Erforschung der zugrundeliegenden Mechanismen und vor allem die daraus resultierenden Ansätze für eine Therapie haben daher höchste Priorität.
„Als Mitinitiator der COVID-19 Taskforce der europäischen Akademie für Neurologie (European Academy of Neurology – EAN) haben wir bereits Ende März ein Ressourcenzentrum für Neurologinnen und Neurologen aufgebaut, um über die neurologische Beteiligung bei COVID-19 zu informieren. Wir haben eine Online-Umfrage durchgeführt, an der sich mehr als 5.000 Ärztinnen und Ärzten beteiligten. Die ersten Umfrageauswertungen bestätigen neurologische Mitbeteiligung bei COVID-19.“
Gleichzeitig wurde ein Register ins Leben gerufen, in dem vorausschauend und auch rückblickend Patientinnen und Patienten, die eine neurologische Mitbeteiligung bei COVID-19 gezeigt haben, mit ihren spezifischen Symptomen strukturiert erfasst werden können. Für dieses Register haben bereits über 200 Institutionen Interesse bekundet.
„Neben der Erstellung der weltweit ersten Konsensus-basierten Empfehlungen für Neurologie und COVID-19 stehen wir im Austausch mit der „American Academy of Neurology“ sowie anderen neurologischen Assoziationen und der WHO, um das gemeinsame Ziel, möglichst rasch gute und strukturierte Daten über die neurologische Beteiligung bei COVID-19 zusammentragen zu können, zu erreichen“, schließt Prim. Priv.-Doz. Tim J. von Oertzen.